Rudolf steiner



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ses Fest, das wir selbst gesehen haben. Wir lassen unseren Blick fallen
auf die toten Buchstaben, deren Bedeutung wir allerdings kennen,
und die, wenn wir sie lesend verbinden, uns einen schwachen, abge-
blaßten Begriff geben von dem, was wir in aller Lebendigkeit am vor-
hergehenden Tage erlebt haben. So etwa war das, was in dieser ur-
alten indischen Zeit von den Menschen in ihrem instiktiven Schauen
erfaßt worden war, und im Verhältnis dazu dasjenige, was sie in den
Sternkonstellationen und Sternbewegungen sahen. Diese Sternkonstel-
lationen und Sternbewegungen waren eben nur Schriftzeichen, man
könnte sagen blasse Schriftzeichen. Und wenn sie diese Schriftzeichen
etwa, sagen wir, nur abgemalt hätten und auf Papier gehabt hätten,
so würden sie das durchaus als eine bloße Schrift über die Wirklich-
keit empfunden haben.

Was für das Schauen dieser Menschen hinter diesen Schriftzeichen


war, für das entwickelten sie nicht nur eine vorstellungsgemäße Er-
kenntnis, sondern zu gleicher Zeit ein liebendes Gefühl. Sie konnten
das, was sie da in Bildern über das Weltenall erfaßten, nicht etwa
bloß mit gleichgültigen Vorstellungen aufnehmen, sondern sie ent-
wickelten dafür ein lebendiges Gefühl. Und zu gleicher Zeit entwik-
kelten sie dafür etwas, was man nennen könnte ein ständiges Empfin-
den, daß alles, was sie taten, auch die kompliziertesten Handlungen,
ein Ausdruck des vom göttlich-geistigen Wesen erfüllten Kosmos
waren. Der Mensch fühlte seine Glieder durchdrungen von diesem
göttlich-geistigen kosmischen Wesen. Er fühlte seinen Verstand durch-
drungen von diesem göttlich-geistigen Wesen, seinen Mut und seinen
Willen. So daß der Mensch eben auch sagen konnte, wenn er von sei-
nen eigenen Handlungen sprach: Göttlich-geistige Wesen tun das. -
Und da in jenen alten Zeiten die Menschen sehr wohl wußten, daß
unter diesen göttlich-geistigen Wesen auch Luzifer und Ahriman sind,
so waren sie sich eben auch bewußt, daß, indem Göttlich-Geistiges in
ihnen waltete, sie auch das Böse neben dem Guten tun konnten.

Ich möchte mit dieser Auseinandersetzung eine Vorstellung davon


hervorrufen, wie den ganzen Menschen erfüllend und den ganzen
Menschen in Zusammenhang bringend mit der Fülle des Kosmos diese

kosmische Religion beschaffen war, die eine kosmische Weisheit, aber


auch zu gleicher Zeit eine den Menschen offenbarende Weisheit war.
Und gerade darin besteht der Fortschritt in der Entwickelung der
Menschheit, daß nun vor allen Dingen zunächst das allerintensivste
religiöse Gefühl abblaßte. Gewiß, Religion blieb für alle späteren Zei-
ten, aber die Intensität des religiösen Lebens, wie es in diesen ersten
indischen Zeiten vorhanden war, die blaßte ab. Vor allen Dingen
blaßte zuerst die Empfindung ab für das Darinnenstehen mit seinen
Handlungen, mit seinen Willensimpulsen, im Bereich der göttlich-
geistigen Wesenheiten. Nicht etwa, als ob der Mensch in der urper-
sischen Zeit, also in der zweiten nachatlantischen Kulturperiode, die-
ses Gefühl des Darinnenstehens gar nicht mehr gehabt hätte. Er hat es
gehabt, nur abgeblaßt war es. In der ersten Zeit der nachatlantischen
Kulturentwickelung war dieses Gefühl etwas Selbstverständliches, In
der zweiten nachatlantischen Kulturblüte, in der urpersischen Zeit,
blaßte eben das tiefste, das intensivste Religiöse ab, und der Mensch
mußte schon beginnen, aus sich heraus etwas zu entwickeln, um in
einer mehr aktiven Weise, als das zunächst der Fall war, seine Verbin-
dung mit dem kosmisch Göttlich-Geistigen zu erfassen. So daß man
sagen könnte: In der ersten nachatlantischen Zeit hatte man die inten-
sivste Religion; und man hatte in der zweiten nachatlantischen Zeit
eine abgeblaßte Religion, aber der Mensch mußte innerlich aktiv
etwas entwickeln, was ihn wieder verbindet mit den kosmisch-geistig-
seelischen Wesenheiten.

Wenn wir heute ein Wort dafür anwenden wollen, so können wir


aus dem Bereich der Worte, die uns bekannt sind, ein Wort wählen, das
allerdings erst später geprägt worden ist. Aber wir nehmen es eben
doch aus einer Zeit, in der man noch ein Bewußtsein von dem hatte,
was eigentlich einmal in Urzeiten in der Menschheitsentwickelung
vorhanden war. Wenn der Urinder hinaufschaute zum Himmel, dann
empfand er überall einzelne Wesenheiten, diese oder jene göttlich-
geistigen Wesenheiten nebeneinander, sozusagen eine Bevölkerung von
göttlich-geistigen Wesenheiten. Das war abgeblaßt und, man möchte
sagen, was individualisiert war, was als einzelne göttlich-geistige We-
senheiten da war, das blaßte so ab, daß es im allgemeinen wie ein

geistiger Kosmos war. Man könnte es sich auch unter dem folgenden


Bilde vorstellen: Denken Sie sich einmal, Sie sehen meinetwillen einen
Vogelschwarm ganz in der Nähe. Sie sehen einzelne Vögel; diese ent-
fernen sich immer weiter und weiter, und es wird eine schwarze
Masse, es wird ein einheitliches Gebilde. So wurde der göttlich-geistige
Kosmos, indem sich die Menschen von ihm geistig entfernten, ein ein-
heitliches, in sich verschwommenes Gebilde.

Noch die Griechen hatten gewissermaßen ein Nachgefühl davon,


daß so etwas eben doch der menschlichen Betrachtung einmal zu-
grunde gelegen hatte. Daher nahmen sie in ihre Sprache herein das
Wort «Sophia». Was als ein göttlich-geistiger Kosmos vorhanden war,
das ergoß sich einst in den Menschen selbstverständlich, nahm den
Menschen selbstverständlich hin. Dem, was jetzt, man möchte sagen,
unter geistiger Entfernung in dieser Vereinheitlichung gesehen wurde,
dem mußte man etwas von innen entgegenbringen. Und das bezeich-
neten dann die Griechen, die noch ein Gefühl davon hatten, mit
dem: Ich liebe = philo. - So daß man sagen kann, in dieser zweiten
nachatlantischen Periode, in der urpersischen Periode, war bei den
Eingeweihten an der Stelle des alten ungeteilten Religiösen eine Zwei-
heit vorhanden: Philosophie, Religion. Die Philosophie hatte man
sich errungen. Die Religion war das Überlieferte, aber das in der
Überlieferung abgeblaßt Gewordene.

Wenn wir weiter vorrücken zu der dritten nachatlantischen Pe-


riode, so kommen wir zu einem weiteren Abblassen des Religiösen.
Wir kommen aber auch zu einem Abblassen der Philosophie, und wir
müssen uns den konkret-realen Vorgang in der folgenden Weise vor-
stellen. Während in der urpersischen Zeit durchaus dieses Einheits-
gebilde der kosmischen Wesenheiten vorhanden war und empfunden
wurde als das den Weltenraum durchziehende Licht, das Urlicht, die
Ur-Aura, Ahura Mazdao, kamen jetzt die Menschen, indem sie sich
noch weiter entfernten von dieser Anschauung, dazu, schon in einer
gewissen Weise den Gang der Sterne, die Konstellation der Sterne
mehr in Betracht zu ziehen, nicht mehr in erster Linie zu empfinden
das wesenhafte Göttlich-Geistige dahinter, sondern mehr zu empfin-
den die Schrift. Und daraus entstand dann etwas, was wir in der chal-

däischen Weisheit, in der ägyptischen Weisheit, in zwei verschiedenen


Formen haben. Es entstand dasjenige, was in sich schloß eine Erkennt-
nis über die Sternkonstellation, über die Sternbewegungen. Aber die
innere Aktivität des Menschen war noch bedeutsamer geworden. Der
Mensch mußte jetzt seine Liebe nicht nur verbinden mit dieser gött-
lichen Sophia, die als das Urlicht die Welt durchglänzte, sondern der
Mensch mußte verbinden sein eigenes Schicksal, seine eigene Stellung
in der Welt mit dem, was da in einer Weltenschrift durch die Stern-
konstellation und durch die Sternbewegungen zu schauen war inner-
halb des Kosmos. Und das, was jetzt neu errungen wurde, war daher
eine Kosmo-Sophia. Diese Kosmosophie enthielt zwar noch durch-
aus den Hinweis auf die göttlich-geistigen Wesenheiten, aber man sah
schon mehr das, was nur der kosmische Schriftausdruck für die Taten
dieser Wesenheit ist. Und dabei blieb eben wiederum abgeblaßt das,
was Philosophie und was Religion war.

Wenn wir dies verstehen wollen, dann müssen wir uns eben klar


sein darüber, daß das, was wir heute noch Philosophie nennen, natür-
lich nur ein ganz schwaches, abgeblaßtes Schattenbild ist von dem,
was etwa in den Mysterien der dritten nachatlantischen Epoche noch
als etwas Lebendigeres empfunden wurde, was dann die Griechen in
einer weiteren Abblassung Philosophie genannt haben. Wenn wir aber
die dritte nachatlantische Epoche betrachten, so sehen wir überall in
deren Kultur diese drei Glieder des menschlichen Geisteswesens aus-
gesprochen: eine Kosmosophie, eine Philosophie, eine Religion. Und
wir bekommen nur die rechten Vorstellungen davon, wenn wir uns
zu sagen wissen, daß bis in diesen Zeitpunkt hinein die Menschen so
lebten, daß sie eigentlich mit ihrer Seele mehr außer dem Irdischen als
im Irdischen lebten. Wenn wir von diesem Gesichtspunkte aus zum
Beispiel die ägyptische Kultur betrachten - bei der chaldäischen war
es noch ausgesprochener -, so sehen wir sie nur in richtiger Weise,
wenn wir uns sagen: Ja, diejenigen Menschen, die überhaupt Anteil
hatten an dieser Kultur, die verfolgten mit innigem Anteil, wenn der
Abend herankam, die Konstellation der Gestirne. Sie erwarteten zum
Beispiel gewisse Erscheinungen des Sirius, sie sahen sich die Planeten-
konstellationen an, und sie bezogen das, was sie da anschauen konnten,

darauf, wie ihnen der Nil dasjenige gab, was sie zu ihrem irdischen


Leben brauchten. Aber sie sprachen eigentlich nicht in erster Linie von
dem Irdischen. Dieses Irdische war ihnen ein Feld ihrer Arbeit. Aber
wenn sie über das Feld sprachen, das sie bearbeiteten, so sprachen sie
eigentlich so darüber, daß sie es anschauten als in Beziehung stehend
zu dem Außerirdischen. Und sie bezeichneten die verschiedenen Ge-
staltungen, welche der von ihnen bewohnte Erdenfleck im Laufe der
Jahreszeiten annahm, nach dem, wie die Gestirne sich in diesen auf-
einanderfolgenden Jahreszeiten offenbarten. Sie beurteilten die Erde
nach dem Himmel. Der Tag war ihnen etwas, das ihnen vom see-
lischen Standpunkte aus eigentlich Dunkelheit entgegenbrachte. Und
Helligkeit kam in diese Dunkelheit hinein, wenn sie das, was der Tag
brachte, deuten konnten aus dem, was sie erschauen konnten in der
Nacht am gestirnten Himmel.

Was die Leute in der damaligen Zeit empfanden, würde man etwa


so aussprechen:

Oh, dunkel ist der Erde Antlitz,

Wenn die Sonne blendend dunkelt,

Doch hell wird mir mein Tagefeld,

Wenn die Seele es beleuchtet durch Sternenweisheit.

Wenn man einen solchen Satz aufschreibt, so kann man in ihm emp-


finden, wie eigentlich die Gefühlswelt dieser dritten nachatlantischen
Periode war. Und man bekommt vielleicht gerade von einer solchen
Betrachtung aus ein Gefühl davon, wie diejenigen Menschen, die noch
darinnenstanden in den Nachklängen eines solchen Empfindens, zu
den späteren Griechen, zu den Angehörigen der vierten nachatlan-
tischen Kulturperiode sagen konnten: Eure Anschauung der Welt,
euer ganzes Leben ist kindlich, denn ihr wißt eigentlich nur noch
etwas von der Erde. Eure Vorfahren in alten Zeiten haben gewußt,
die Erde mit dem Licht des Himmels zu beleuchten, ihr aber lebt im
Dunkel der Erde.

Allerdings empfanden die Griechen schon dieses Dunkel der Erde


als hell. Die Griechen hatten schon durchaus die Tendenz, die Kos-
mosophie allmählich zu überwinden und sie zu verwandeln. Und

indem alles das, was von den Himmelsweiten hereinschaute, noch wei-


ter abgeblaßt wurde, hatten sie schon die Kosmosophie in eine
Geosophie verwandelt. Und die Kosmosophie war für sie eigent-
lich nur eine Tradition. Sie war für sie etwas, was sie lernen konnten,
wenn sie zurückblickten zu denen, die ihnen das Entsprechende über-
lassen hatten.

So etwa stand Pythagoras, man möchte sagen, an der Schwelle des


vierten nachatlantischen Zeitalters, indem er herumzog bei den Ägyp-
tern, Chaldäern und weiter hinein nach Asien, um da aufzunehmen,
was diese Menschen noch ihm überliefern konnten von der Weisheit,
die ihre Urväter in den Mysterien als ihre Kosmosophie, als ihre
Philosophie, als ihre Religion gehabt hatten. Und dasjenige, was dann
noch verstanden werden konnte, war dann eben Kosmosophie, Philo-
sophie, Religion.

Nur war diese Geosophie der Griechen - das beachtet man heute


viel zu wenig - doch noch in bezug auf das Irdische ein solches Wis-
sen, eine solche Weisheit, daß der Mensch wirklich sich verbunden
fühlte mit der Erde, und daß dieses Verbundensein mit der Erde einen
durchaus seelischen Charakter hatte. Bei dem gebildeten Griechen
hatte das Verbundensein mit der Erde einen seelischen Charakter. Die
besondere Art, welche die Griechen hatten, Quellen zu beleben mit
Nymphen, den Olymp zu beleben mit den Göttern, kurz, alles das als
eine Lebensanschauung auszubilden, was hinweist, jetzt nicht auf eine
Geologie, wo man nur mit Begriffen die Erde umspannt, sondern auf
eine Geosophie, wo eben Wesenhaftes in der Erde erlebend erkannt
und erkennend erlebt wird, das war etwas, was die heutige Mensch-
heit nur noch in der Abstraktion kennt, was aber noch durchaus le-
bendig war bis in das vierte nachchristliche Jahrhundert herein.

Bis in das vierte nachchristliche Jahrhundert herein hatte man noch


etwas von einer solchen Geosophie. Und auch von dieser Geosophie
blieb noch einiges in der Tradition erhalten. Was wir bei Scotus
Erigena finden zum Beispiel, der von der irischen Insel und deren
Mysterien das mitgebracht hatte, was er dann in seiner Schrift «Über
die Teilung der Natur» zum Ausdrucke gebracht hat, das kann nur
verstanden werden, wenn man das, was sich als das Ergebnis einer

solchen Tradition ergibt, aus einer Geosophie heraus auffaßt. Denn


in der fünften nachatlantischen Periode, die sich dann vorbereitete
und die mit dem 15. Jahrhundert heraufkam, blaßte auch diese Geo-
sophie ab, und was jetzt kam, das war, daß der Mensch eigentlich
verloren hatte das innerliche Miterleben mit dem Weltenall. Geo-
sophie verwandelte sich, möchte man sagen, in Geologie. Das ist im
weitesten Sinne zu fassen, nicht nur wie die heutige Schulphilosophie
das meint. Kosmosophie verwandelte sich in Kosmologie; Philosophie
behielt man bei, machte aber ein abstraktes Wesen daraus, das eigent-
lich in Wahrheit Philologie genannt werden müßte, wenn nicht der
Name schon in Anspruch genommen wäre von etwas noch viel Greu-
licherem, als man in der Philosophie haben möchte.

Es bleibt dasjenige übrig, was Religion ist, was schon ganz abseits


steht von der eigentlichen Erkenntnis, was im Grunde genommen von
dem Menschen nur noch aus den Traditionen angenommen wird.
Denn religionsschöpferische Naturen treten in dieser fünften nach-
atlantischen Periode nicht mehr im allgemeinen Zivilisationsleben auf.
Betrachten Sie alles, was da kam: religionsschöpferische Naturen im
eigentlichen Sinne des Wortes waren nicht mehr da. Aber das hat ja
auch seine Berechtigung. In den Zeiträumen vorher, in der ersten,
zweiten, dritten, vierten nachatlantischen Periode gab es immer reli-
giös schöpferische Naturen, religionsschöpferische Persönlichkeiten;
denn es konnte noch immer etwas hereingeholt werden aus dem Kos-
mos, oder wenigstens konnte noch etwas heraufgeholt werden aus der
Erde. Und in den griechischen Mysterien, in denjenigen Mysterien,
die man im Gegensatze zu den Himmelsmysterien die chthonischen
Mysterien nennt, die aus den Tiefen der Erde heraufholten ihre Inspi-
ration auf die verschiedenste Weise, in diesen Mysterien kam vorzugs-
weise die Geosophie zustande.

Mit dem Hineingehen in die fünfte nachatlantische Periode und


dann mit dem Darinnenstehen in diesem Zeitabschnitt wurde der
Mensch auf sich selbst zurückgewiesen. Er brachte die «Logie», er
brachte dasjenige, was nun aus ihm selbst herauskommt, zum Vor-
schein, zur Offenbarung. Und so wird die Welterkenntnis eine Welt
der abstrakten, der logischen Begriffe, eine Welt der abstrakten Ideen.

In dieser Welt der abstrakten Ideen lebt der Mensch seit dem 15. Jahr-


hundert. Mit dieser Welt der abstrakten Ideen, die er dann zusammen-
rechnet in die Naturgesetze, sucht er jetzt von sich aus dasjenige zu
erfassen, was dem früheren Menschen sich geoffenbart hat. Daß es in
dieser Periode nicht mehr religionsschöpferische Naturen gibt, hat
eine gewisse Berechtigung, denn es fällt in den vierten nachatlan-
tischen Zeitraum das Mysterium von Golgatha, und dieses Mysterium
von Golgatha gibt die letzte Synthesis des religiösen Lebens. Das gibt
diejenige Religion, die der Abschluß der irdischen Religionsströmun-
gen und -strebungen sein sollte. Und in religiöser Beziehung können
eigentlich alle folgenden Zeiten nur auf dieses Mysterium von Golgatha
zurückweisen.

Indem also gesagt wird, daß seit der fünften nachatlantischen Kul-


turzeit nicht eigentlich mehr religiös produktive Naturen auftreten
können, wird damit nicht etwas Tadelndes, etwas Kritisches gegen-
über der Geschichtsentwickelung gesagt, sondern es wird etwas gesagt,
was gerade etwas Positives ist, weil es sich durch das Auftreten des
Mysteriums von Golgatha rechtfertigen läßt.

So können wir uns den Gang der Menschheitsentwickelung in bezug


auf die geistigen Strömungen und die geistigen Bestrebungen vor Au-
gen stellen. So können wir sehen, wie es dazu gekommen ist, daß wir
heute drinnenstehen in dem, was im Grunde genommen nicht mehr
einen Zusammenhang mit der Umwelt hat, sondern was etwas aus
dem Menschen Herausgesponnenes ist, aber etwas, in dem der Mensch
doch produktiv ist und immer mehr produktiv werden muß. Denn
indem er dieses Abstrakte weiter ausbildet, wird er eben durch Imagi-
nation wiederum zu einer Art Geosophie und Kosmosophie aufrük-
ken. Er wird durch die Inspiration die Kosmosophie vertiefen und zu
einer wahren Philosophie aufrücken, und er wird dann durch Intui-
tion die Philosophie vertiefen und zu einer wirklich religiösen Welt-
auffassung, die nun auch mit der Erkenntnis wiederum eins sein kann,
vorrücken können.

Man möchte sagen, daß wir eigentlich heute erst im Allerelemen-


tarsten dieses Fortschrittes stecken. Selbst mit dem, was wir nun heute
schon fassen können als eine Wiedergabe von geistigen Offenbarun-

gen, die ja seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aus der gei-


stigen Welt in die irdische hereinleuchten und in dieser Idee aufgefaßt
und empfangen werden konnten, selbst damit stehen wir eigentlich
im Anfange, in einem Anfange, der einem ein Bild aufdrängt, welches
charakteristisch sein kann für die Auffassung, die heute von der äuße-
ren, ganz abstrakten Kultur den ersten konkreten Äußerungen und
Mitteilungen aus der geistigen Welt entgegengebracht wird. Wenn
man heute über die geistige Welt spricht, und die anerkannte Erkennt-
nis hört das in ihren Vertretern, dann wird diesen Auseinandersetzun-
gen über die geistige Welt eine solche Art des Verständnisses entgegen-
gebracht, die man natürlich ein Unverständnis nennen muß. Denn
was da entgegengebracht wird, läßt sich vergleichen mit dem Folgen-
den: Nehmen wir an, ich würde einen Satz hier aufschreiben, und der-
jenige, der dann das Stückchen Papier bekommt, würde, um zu einem
Verständnis dessen zu kommen, was ihm da gegeben worden ist, die
Tinte analysieren. So etwa ist es, wenn unsere Zeitgenossen über
Anthroposophie schreiben, wie wenn jemand, der einen Brief be-
kommt, die Tinte analysiert. Diesen Eindruck hat man immer. Dieses
Bild kann einem eben naheliegen, wenn man ausgegangen ist von einer
Betrachtung, daß ja selbst die Sternkonstellation und die Sternbewe-
gung für die erste Menschheitsentwickelung in der nachatlantischen
Periode nur etwas wie ein Schriftausdruck waren für das, was sie als
die geistige Bevölkerung, möchte ich sagen, des Kosmos erlebte.

Man stellt heute solche Dinge vor eine gewisse Zahl von Menschen


hin, um doch ein Gefühl dafür hervorzurufen, daß dasjenige, was als
Anthroposophie auftritt, nicht aus irgendwelchen phantastischen Un-
tergründen geschöpft ist, sondern daß es geschöpft ist aus wirklichen
Erkenntnisquellen, und daher sich als tauglich erweist, die Menschheit
der Erde nach ihrer Wesenheit zu erkennen. Anthroposophie ist taug-
lich, Licht zu verbreiten über die Menschheitsdifferenzierung in unse-
rer Gegenwart vom Westen durch die Mitte zum Osten hin, wie wir
das gestern versucht haben. Sie ist aber auch tauglich, über diejenigen
Differenzierungen Licht zu verbreiten, die im Laufe der Zeiten in der
Menschheitsevolution aufgetreten sind. Und eigentlich erst dadurch,
daß man alles das, was man über die Differenzierung der Erden-

gebiete in der Gegenwart wissen kann, mit dem verbindet, was man


darüber wissen kann, wie das alles geworden ist, erst dadurch gewinnt
man ein Verständnis dessen, was an Menschen heute lebt hier auf dem
Erdenrund.

Traditionen des Alten haben sich immer erhalten, auf dem einen


Erdengebiete mehr, auf dem ändern weniger. Auch nach diesen Tra-
ditionen unterscheiden sich die Völker des Erdballs. Wenn wir nach
dem Osten hinüberblicken, finden wir ja, wie in der späteren Zeit auf-
gezeichnet worden ist dasjenige, was unaufgezeichnet vorhanden war
in der ersten nachatlantischen Kulturepoche, wie es uns entgegen-
glänzt in den Veden, in der Vedantaphilosophie, wie uns seine Innig-
keit berührt in der echten Jogaphilosophie. Und wenn wir das alles
auf uns wirken lassen vom Bewußtsein der Gegenwart aus, dann
bekommen wir ein Gefühl: In diese Dinge muß man sich vertiefen,
immer mehr und mehr vertiefen, dann fühlt man selbst in den Schrift-
werken noch etwas leben von dem, was in den Urzeiten vorhanden
war. Aber man möchte sagen: daß die morgenländische Welt noch
innerhalb dieses lebendigen Nachklanges seiner Urweltweisheit lebt,
das macht diese morgenländische Welt auch ungeeignet, neue Ansätze
zu empfangen.

Die westliche Welt hat weniger Traditionen. Höchstens in den Auf-


zeichnungen gewisser Geheimorden hat sie Traditionen aus der drit-
ten nachatlantischen Kulturepoche, aus der Zeit der Kosmosophie,
aber Traditionen, die nicht mehr verstanden werden, sondern in un-
verstandenen Symbolen vor die Menschheit hingebracht werden. Aber
in diesem Westen ist zu gleicher Zeit vorhanden eine elementarische
Kraft, neue Entwickelungsimpulse zur Entfaltung zu bringen.

So daß man sagen könnte: Es waren einstmals die Urimpulse da.


Sie entwickelten sich, indem sie immer schwächer und schwächer wur-
den, bis gegen den vierten nachatlantischen Zeitraum hin, wo sie sich ge-
wissermaßen in sich selbst verloren in dem eigentümlichen griechischen
Kulturleben. Und heraus entwickelte sich dann, mit der Hinweisung
auf ein Neues, die abstrakte, die prosaische Nüchternheit des Römer-
tums (es wird gezeichnet). Das aber muß wiederum aufnehmen Gei-
stigkeit, und muß wiederum, indem es mächtiger und mächtiger wird,

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