Rudolf steiner



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daß die Menschheit in der Gegenwart für ihre Fortentwickelung etwas
braucht. Denn daß wir in diese katastrophale Zeit hineingekommen
sind, rührt davon her, daß die Menschen die Kraft zur Aufwärts-
bewegung verloren haben. Aber gerade das, was auf unserem Boden
erwachsen ist, sind Kräfte, die zum Aufbau des geistigen Lebens die-
nen können. Und deshalb möchte ich heute nicht so sehr von Zeit-
ereignissen sprechen als vielmehr von Dingen, die der menschlichen
Erkenntnis notwendig sind, notwendig für das, was in unsere mora-
lischen Impulse aufgenommen werden muß. Vieles lebt in unserer
Seele, von dem man kaum ahnt, daß es da ist. Aber da es da ist in un-
serer Seele, und da das Seelische mit dem Leben zusammenhängt, so
ist das auch sehr wichtig für unser Leben.

Was heute auf der Menschheit besonders lastet, ist die Diskordanz


von dem, was auf der einen Seite die Seele wirklich braucht, und von
dem, was auf der ändern Seite durch die gegenwärtige naturwissen-
schaftliche Erkenntnis an die Seele herankommt. Diese naturwissen-
schaftlichen Erkenntnisse sind anspruchsvoll, und man sollte sich vor
die Seele stellen, was sie eigentlich von den Menschen beanspruchen.
So beanspruchen sie beispielsweise, daß man in ihrem Sinne auf den
Erdenanfang und auf das Erdenende hinzublicken habe. Man redet
da von einem Erdenanfang nach Kant-Laplace: ganz auf den Grund-
lagen der chemischen Mechanik habe sich ein glühender Gasball ge-
bildet, dieser habe sich abgekühlt, und als er genügend erkaltet war,
habe sich auf Grund derselben mechanischen Gesetzmäßigkeit weiter
herausgeballt alles das, was später zum Pflanzenreich, Tierreich und
Menschenreich geworden ist. Und in bezug auf den Weiterverlauf des
Erdenlebens und Erdendaseins spricht man von einem Aufhören allen
Lebens durch den allmählich eintretenden Wärmeausgleich, und so ist

man gewohnt worden, gemäß der wissenschaftlichen Anschauung


von einem Wärmetod der Erde zu sprechen, der nach physikalischer
Gesetzmäßigkeit eintreten wird. Man sieht auf ein Erdenende hin
wie auf einen großen Kirchhof. Zwischen chemisch-mechanischem
Erdenanfang und dem Wärmetod der Erde, zwischen diese beiden
Extreme ist alles eingespannt, was uns Menschen als Ideale und als
Moralisches aufgegangen ist und noch aufgeht. Man muß sich aber
fragen, weshalb eigentlich solche Ideale erst auf chemisch-physika-
lische Weise entstehen, wenn sie doch bestimmt sein sollen, im allge-
meinen Wärmetode wieder unterzugehen? Man kann freilich einwen-
den, das seien theoretische Betrachtungen, die auf das gewöhnliche Le-
ben nicht viel Einfluß haben. Aber wenn man auch vorzieht, an sol-
chen Fragen stillschweigend vorbeizugehen, so sind sie dennoch Dis-
harmonien, die tief in das unbewußte Seelenleben hineinwirken. Sie
führen zu der bangen Frage: Was machen wir mit unseren moralischen
Impulsen, was machen wir mit unseren religiösen Idealen, wenn die
gesamte Erdenentwickelung dem Untergange geweiht ist?

Die Stellung dieser Frage zeigt, was mit diesem Hinweise gemeint


ist. Denn alle unsere moralischen Impulse, alle unsere religiösen Ideale
wären nichts weiter als ein ungeheurer Menschenbetrug, ein furcht-
barer Wahn, wenn sie alle in dem Erdenfriedhof begraben werden
sollten. Für die schlimmen Wirkungen solcher von der rein natur-
wissenschaftlichen Erkenntnis herrührenden Seelenstimmungen gibt es
schon deutlich sprechende Beispiele, nur kommen sie uns nicht so
deutlich ins Bewußtsein. Aber die bange Frage lebt in den Menschen-
herzen. Wenn man den Geist der Naturwissenschaften kennt und von
ihrem Standpunkt aus diese Frage zusammenfaßt, so muß man sagen:
Indem wir Menschen hervorgesprossen sind aus der Natur, sind uns
Menschen die sittlichen Ideale gekommen; aber diese gehen zugrunde
mit der Erde. Die sittlichen Ideale gehen in der Naturwissenschaft zu-
grunde. Die Naturwissenschaft gestattet nicht, daß man den Idealen
eine selbständige reale Wirklichkeit einräumt. Und wenn das auch
Theorie ist, so wirkt es doch ungeheuer lastend auf die menschliche
Seele.

Diese fatalistische Weltanschauung beruht letzten Endes auf dem,

was aufgetreten ist als Glaube an die Unvergänglichkeit der materiel-
len Kraft. Wer aber heute an diesem Dogma rüttelt, wird als wahn-
sinnig angesehen. Wäre dieses Dogma wahr, dann gäbe es keine Ret-
tung für die sittlichen Ideale, und diese wären dann nur ein bildlicher
Inhalt für etwas, das sich der Mensch nur so zusammenreimt und zu-
rechtlegt. Und es gäbe auch keine Rettung der Ideale, wenn wir nicht
aus der geistigen Forschung heraus die Mittel fänden, dem Menschen
wieder einen übersinnlichen Inhalt seines Bewußtseins zu geben. Das
ist eine Zeitfrage. In bezug auf diese Zeitfrage leben wir an einem
wichtigen Wendepunkt der Entwickelung. Wer mich kennt, weiß, daß
ich einen solchen Ausspruch nicht gern tue, weil man von jedem Zeit-
punkt sagen kann, er sei ein Wendepunkt. Es kommt aber sehr darauf
an, für was der Zeitpunkt ein Wendepunkt ist oder als Wendepunkt
in Betracht kommt.

Nun wollen wir einmal schauen, wohin und bis wohin eigentlich


die naturwissenschaftliche Erkenntnis führen kann. Zu diesem Zwecke
betrachten wir einmal den Menschen so, wie er uns im äußern sinn-
lichen Ausdruck entgegentritt, wie er als physisch-sinnlicher Mensch
vor uns lebt. Man muß das aber in ganz radikaler Weise tun. Stellen
wir den Menschen so vor uns hin, dann erscheint er uns letzten Endes
nicht anders als ein Leichnam. Wenn wir von allem ändern absehen
und nur die physisch-sinnliche Wesenheit in Betracht ziehen, und
wenn wir auf diese physisch-sinnliche Wesenheit nichts anderes wir-
ken lassen als die chemisch-physikalischen Gesetzmäßigkeiten, dann
beginnt der Mensch in dem Augenblicke, wo er den äußeren Natur-
gesetzen zu folgen beginnt, sich zu zersetzen, sich aufzulösen. Die
Kräfte, die wir mit unseren gewöhnlichen Erkenntnisquellen erken-
nen, die zerstören den Menschen.

Wenn man diesen Umstand in Betracht zieht, dann kann man


schon allein dadurch zu einer Widerlegung der materialistischen Welt-
anschauung gelangen. Denn wenn man sich sagt, daß diese äußeren
Kräfte den Menschen auflösen, dann müssen die Menschen vor der
Geburt in einem Zustande gewesen sein, wo sie Kräfte sammelten, die
der Auflösung widerstehen. Der Leichnam geht bei seiner Auflösung
auf in der Welt, die wir mit unseren Sinnen erkennen. Da vereint er

sich mit der Sinnenwelt durch die Sterbekräfte der chemisch-physika-


lischen Wirksamkeiten. Aber das, was bei dem Tode innerlich-seelisch
vorgeht, kann nicht äußerlich-sinnlich wahrgenommen werden. Die-
ses Innerlich-Seelische kann nur im Bereiche der höheren Erkenntnis-
quellen durch Anschauung erlebt werden. Und da wird wahrgenom-
men, daß sich das Innerlich-Seelische außerhalb des Leibes mit dem
Geiste vereinigt, vereinigt mit dem, was als Geist die Welt durchkraf-
tet und durchströmt. Die Seele, die nach dem Tode sich vereinigt mit
dem Geiste, ist dann in der übersinnlichen Welt verbunden mit dem
Geiste.

Das ist eine Tatsache, die sich neben die Tatsache des Leichnams


hinstellt. Der stoffliche Leib war im Leben durchdrungen von der
Seele; er vereinigt sich beim Tode mit den Naturkräften. Die Anthro-
posophie führt aber zu einer Lebenstatsache, die dem Tode als Tat-
sache unmittelbar entgegengesetzt ist. Wenn man durch bloße Theo-
rien über das Ewig-Lebendige im Menschen etwas vorbringen wollte,
so würde das den Menschen niemals befriedigen. Die Anthroposophie
führt aber vor die Tatsache der Vereinigung der Seele mit dem Geiste.
Die sinnliche Erkenntnis der Naturwissenschaften führt nur zur Tat-
sache des Todes.

Wenn wir die höheren Erkenntnisquellen der Geisteswissenschaft


berühren, dann treffen wir auf das, was durch den Geistesforscher
mitgeteilt wird als imaginative, inspirierte und intuitive Erkenntnis.
Diese Erkenntnisstufen werden beschrieben zum Beispiel in dem
Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» oder in
dem Buche «Geheimwissenschaft im Umriß». Und wenn Sie diese
Beschreibungen studieren, dann haben Sie zunächst Beschreibungen
von Erkenntnisstufen, gewiß, aber dennoch liefern sie dem Geistes-
forscher mehr, als daß sie nichts weiter wären als bloße Erkenntnis-
stufen. So, wie die naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht nur bloße
Erkenntnis ist, sondern noch andere Seiten und Tatsachen aufweist,
so ist es auch bei den höheren Erkenntnissen.

Unter dem, was zu Imagination, Inspiration und Intuition - außer


dem, was sie als Erkenntnisstufen sind - noch anderes als Tatsachen
hinzutritt, möchte ich mit Ihnen heute etwas betrachten, was ich zum

Beispiel im Wiener Zyklus von 1914 über das Leben nach dem Tode


berührt habe, aber von einem etwas ändern Gesichtspunkte aus. Sehen
Sie, was der Mensch hier auf Erden ist, das steht als Leichnam in Ver-
bindung mit der äußeren physischen Natur. Und so, wie einerseits
der Mensch in der Richtung nach unten mit den mineralischen Kräf-
ten in Verbindung steht, so steht er andererseits nach oben in Verbin-
dung mit den höheren Hierarchien. So wie er im Leichnam verwächst
mit den mineralischen Kräften, so verwächst er nach oben und wächst
langsam hinein in die Hierarchien. Man hört zuweilen sagen, daß
man, um das zu wissen, abwarten könne, was nach dem Tode komme,
denn dann werde sich das schon erweisen. Und so könne man auch
das Hineinwachsen in die Hierarchien abwarten. Ja, aber ganz so ist
das nicht. Es kommt sehr darauf an, ob der Mensch so hineinwachsen
kann, wie es ihm eigentlich bestimmt ist, denn zunächst, das muß man
zugeben, steht der Mensch so in der Welt, daß er im physischen Be-
wußtsein keine Ahnung haben kann von den Beziehungen, die er mit
den höheren Hierarchien hat. Aber von dem Bewußtwerden dieser
Beziehungen hängt vieles ab.

Die erste Gruppe von Wesen, mit denen der Mensch in Beziehung


steht, nennen wir die Engelwelt. Aber derjenige, welcher auf gewissen
Voraussetzungen fußend das Geistige nicht anerkennt, der kann auch
keine Beziehungen zur Engelwelt anknüpfen, denn das kann ebenso-
wenig geschehen, wie der Mensch ohne sinnliche Organe Beziehungen
zur sinnlichen Welt anknüpfen könnte. Die Engelwesen sind zwar die
unmittelbar über dem Menschen stehenden Wesenheiten, sozusagen
dem Menschen nahestehende Wesenheiten, und dennoch können wir
unter gewissen Voraussetzungen nicht an sie herankommen. Nur da-
durch, daß wir schon jetzt auf Erden uns ein Bild zu machen versu-
chen von der Engelwelt, bereiten wir uns vor, daß wir mit ihr Bezie-
hungen anzuknüpfen vermögen. Indem der Mensch durch die Pforte
des Todes schreitet, führt sie den Menschen zur Engelwelt, und dann
kommt es darauf an, ob der Mensch nach dem Tode ein Bewußtsein
davon haben kann, um was es sich handelt.

Die zweite Gruppe höherer Wesenheiten ist die Gruppe der Volks-


geister oder Erzengel. Engelwesen sind noch keine Volksgeister. Reale

Volksgeister stehen nicht mehr in individuellen Beziehungen zum


Menschen, wie es bei den Engeln noch der Fall ist. Volksgeister stehen
in Beziehung zu Gemeinschaften und Gruppen von Menschen. Auch
die Naturwissenschaft spricht gelegentlich vom Volksgeist, aber wenn
die Naturwissenschaft vom Volksgeist spricht, so erkennt sie einen
solchen doch nicht an als reale Wesenheit, wenn auch eine solche gei-
stiger Art. Aus höherer Erkenntnis weiß der Geistesforscher, daß
Volksgeister reale geistige Wesenheiten sind, die eine Stufe über der
Engelwelt stehen. Auch in diese Hierarchie kann der Mensch hinein-
wachsen. Aber wenn unser inneres geistiges Erleben nicht intensiv ge-
nug ist, dann kann uns der Engel nicht mit unserem Bewußtsein an
den Volksgeist heranführen. Da wir aber doch herangeführt werden
müssen, so geschieht es dann, wenn nicht bewußt, so unbewußt, durch
karmische Gesetzmäßigkeit. Entweder verwachsen wir bewußt in
Liebe hinein in den Volksgeist, oder aber wir werden mit Gewalt ge-
führt in die Sphäre der Volksgeister. Wenn wir dann nach dem Tode
an den Punkt gelangen, wo der Wiederabstieg in die sinnliche Welt zu
einer neuen Verkörperung beginnt, da tritt ein großer Unterschied ein
in dem Hinabführen der Seele zur neuen Verkörperung, je nachdem,
ob der Mensch sich in Liebe bewußt verbunden hat mit dem Volks-
geist, oder ob er, der wahren Verhältnisse unbewußt, mit Gewalt, un-
ter Zwang bewegt wird. Das drückt sich aus in einer geistig-seelischen
Tatsache. Der Mensch kann in ein Volk hineingeboren werden, indem
er zu seinem Volksgeist ein Verhältnis hat durch Zwang, oder ein sol-
ches durch innere Liebe. Derjenige, der in solche Dinge hineinzu-
schauen vermag, erlebt als ein hervorstechend charakteristisches Zei-
chen unserer Zeit, daß es heute eine große Anzahl von Menschen gibt,
die kein hinreichend liebevolles Verhältnis zum Volksgeist haben. Was
ich hiermit angedeutet habe, ist die Ursache für das, was die Völker
durcheinanderbringt. Der Streit, der heute unter den Völkern herrscht,
rührt davon her, daß viele Menschen geboren sind, die wenig Liebe
zum Volksgeist entwickelt haben und daher heute in einem Zwangs-
verhältnis zum Volksgeist stehen. Denn das, was uns als Liebe zu
einem Volksgeist geführt hat, kann eigentlich niemals zu einem Kon-
flikte mit ändern Völkern führen. Deshalb müssen wir heute alles tun,

was nur möglich ist, um den Menschen wieder zu einem liebevollen


Verhältnis zu den Volksgeistern zu verhelfen. Das ist eine dringende
Notwendigkeit.

Stehen wir hier im Leben, dann haben wir in Imagination, Inspira-


tion und Intuition Erkenntnisstufen, die zu realen geistig-seelischen
Anschauungen führen. In der geistig-seelischen Welt, wenn die
Seele durch Karma wieder in die physische Welt hinunter kommen
soll, sind Imagination, Inspiration und Intuition Tatsachen des Ge-
schehens, Tatsachen des Handelns. Da steht die Seele in einem Ver-
hältnis zu dem, was aus dem Kosmos heraus von ihr erreicht werden
soll. Wenn wir zurechtkommen wollen im Leben, muß uns das Leben
gewähren, was uns die Annäherung an das Ziel ermöglichen kann.
Und so erarbeitet der entkörperte übersinnliche Mensch durch Imagina-
tion, Inspiration und Intuition seine Wiederverkörpcrung m die phy-
sische Welt, während der verkörperte sinnliche Mensch durch Ima-
gination, Inspiration und Intuition eine Anschauung von der seelisch-
geistigen Welt haben kann.

Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist nicht in der Lage, die tief-


sten Geheimnisse des Lebens zu erkennen. Naturwissenschaftliche Er-
kenntnis beginnt zum Beispiel bei der Betrachtung einer chemischen
Verbindung. Dann schreitet sie weiter zur Betrachtung komplizier-
terer chemischer Verbindungen, und weiter fortschreitend bis zur Be-
trachtung der lebendigen Zelle, betrachtet sie diese schließlich als
nichts anderes als eine besonders kunstvolle chemische Verbindung.
Aber Geisteswissenschaft zeigt uns, daß die Zelle zwar äußerlich be-
trachtet ein außerordentlich kunstvolles chemisches Gebilde ist; aber
indem die Lebenszelle, der Keim im Mutterleibe in so kunstvoller
Weise entsteht, geht die chemische Gesetzmäßigkeit ins Gegenteil und
wird zum Chaos. Beim Keim im Mutterleibe, dem Keim des Lebens,
ist die chemische Gesetzmäßigkeit aufgehoben, ins Gegenteil verkehrt,
und das ist im Bereich der Natur: Chaos. Und weil der Keim Chaos
ist, kann der Kosmos wieder auf ihn wirken.

Davon bekommt der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt eine


Ahnung. In der ersten Stufe auf dem Wege zur Wiederverkörperung
wächst der Mensch durch realisierte Imagination in die Wiederver-

leiblichung hinein. Die zweite Stufe ist die realisierte Inspiration, und


das ist ein viel helleres Bewußtsein als unser Hirnbewußtsein, denn
Inspiration ist eine kosmische Kraft. Ein Teil dieser kosmischen Kraft
wird gleichsam eingeatmet und strömt dann der Leiblichkeit zu, ohne
daß sie vollständig ins Bewußtsein heraufkommt, so wie es ähnlich
mit dem Willen ist. Wir wissen nicht, wie der Wille unsere Hand be-
wegt, aber sie bewegt sich doch so, wie wir es wollen. Der geistige
Mensch, der sich durch realisierte Inspiration der Verkörperung nä-
hert, verhält sich zur kosmischen Inspiration, wie der leibliche Mensch
sich zur Luft verhält. Wie wir uns unseren physischen Leib gewöhn-
lich vorstellen, denken wir ihn uns bestehend aus Muskeln, Nerven,
Gefäßen, Knochen, ebenso wie wenn wir einen Leichnam betrachten.
Aber was als Luft Anteil an unserem Organismus hat, das denken wir
uns mehr außerhalb des Leibes. Zwar wissen wir, daß wir ohne Luft
nicht leben können, aber wir betrachten sie nicht so zu uns gehörend
wie beispielsweise das Knochengerüst. Dennoch bildet sie einen Teil
unseres Organismus. Das, was Luft da draußen ist und im nächsten
Augenblick drinnen, um dann im nächsten Augenblick wieder drau-
ßen zu sein, das bildet einen Teil unseres Organismus derart, daß die
Luft in einem Rhythmus in uns lebt. In einem viel ausgedehnteren
Rhythmus lebt der Mensch mit dem Seelisch-Geistigen. So, wie wir
physisch Luft ein- und ausatmen, so atmen wir Seelisch-Geistiges ein,
auch wenn es zum größten Teile unbewußt geschieht. Auch im Phy-
sischen geschieht ein Teil dessen, was durch das Atmen bewirkt wird,
unbewußt. Wenn der seelisch-geistige Mensch in der realisierten In-
spiration das Seelisch-Geistige einatmet, dann nimmt er ein Bild auf
in seine Seele. Das nimmt er in den herabgedämpften Teil seines Be-
wußtseins auf, und was er aufnimmt, das ist die Welt der moralischen
und religiösen Impulse. Das nimmt er auf in der Form des Gewissens.
Die dritte Etappe im Herabstieg zur neuen Verleiblichung ist es,
wenn der Mensch übergeht zu dem, was ihm von den Eltern gegeben
wird. Da führt er eine realisierte Intuition aus. So sehen Sie, daß das,
was der Mensch in der Verleiblichung als drei höhere Erkenntnisstu-
fen erreichen kann, sich im Seelisch-Geistigen auf dem Wege zur Ver-
leiblichung als ein reales Geschehen vollzieht. So, wie wir uns hier auf

Erden durch Imagination, Inspiration und Intuition hinaufschwingen


in die geistige Welt, so steigen wir auf dem Rückwege aus der gei-
stigen Welt in die Verkörperung auch herab durch Imagination, In-
spiration und Intuition. Das ist das Gegenbild der drei höheren Er-
kenntnisstufen in der geistigen Welt.

Was sehen wir daraus? Wir sehen daraus, daß Anthroposophie


keine bloße Erkenntnis ist, sondern daß sie Leben hat, denn wir stre-
ben durch Anthroposophie die höhere Erkenntnis an, um das höhere
Leben in seiner Wirklichkeit zu erfassen und unsere Seele zu erfüllen
mit dem Inhalt, der in den geistigen Welten darinnen lebt. Wer dann
durch seinen gesunden Menschenverstand eingesehen hat, was der
Geistesforscher zu sagen weiß, der erfährt noch etwas anderes. Er er-
fährt folgendes. Er kann sich sagen, daß die Menschen in dem Zu-
stand der Verleiblichung zwischen Geburt und Tod immerfort den im
Leibe waltenden Sterbekräften begegnen. Die Sterbekräfte waren im-
mer da im menschlichen Leibe, aber es sind in uns auch die den Sterbe-
kräften entgegengerichteten Kräfte immer da. Sie sind da. Hätten wir
diese Sterbekräfte nicht in uns, dann würden wir niemals den Ver-
stand für die physische Umgebung entwickelt haben.

Es ist eine der wichtigsten Erkenntnistatsachen, daß unsere Verstan-


deskräfte gebunden sind an unsere Sterbekräfte. Der Tod ist eigentlich
nur eine Zusammenfassung der fortwährend in uns wirkenden Sterbe-
kräfte. Wenn wir uns aber fragen, wie ein sittliches Ideal, das sich
zum religiösen Ideal steigern kann, in uns lebt, dann muß gesagt wer-
den, daß dieses ganz anders in uns lebt. Man sagt, daß es gewisse
Naturkräfte gibt, die bewirken, daß die Pflanzen nach oben getrieben
werden, und diesen Kräften spricht man Realität zu. Aber wenn man
in den Menschen hineinschaut und dort die Triebkräfte sittlicher und
religiöser Ideale auffindet, dann will man diesen keine Realität zu-
sprechen. Da sind sie aber und wirken nicht nur in jedem Menschen,
sondern auch auf die Kulturen der ganzen Menschheit. Durch höhere
Erkenntnis lernt man erkennen, daß die sittlichen Ideale dadurch im
Menschen leben, daß Materie verbrannt wird. Materie wird vernichtet
durch das Fassen sittlicher Ideale. Abbau von Materie ist die Voraus-
setzung zum Aufbau sittlicher Ideale. Auf die Art und Weise, wie der

Mensch Materie abbaut, wie er sie wieder aufbauen kann, kommt es


an. Die äußere Forschung ist zwar noch befangen in dem Vorurteil
von der Unvergänglichkeit der Materie, doch Geisteswissenschaft
zeigt, daß die Naturkräfte draußen durch den Menschen durchbro-
chen werden. Im Besitz anthroposophischer Weltanschauung lernt
man sich trösten über die Vorstellung vom Wärmetod der Erde. Denn
gerade durch die Vernichtung der Materie sichert sich der Mensch den
Aufbau seiner moralischen Persönlichkeit.

Versuchen Sie einmal, recht besonnen in Ihre Seele hineinzuschauen,


dann finden Sie etwas, das an der Seele des modernen Menschen zehrt
und nagt: Was da zehrt und nagt, das ist, daß durch die moderne
Naturwissenschaft eine Austilgung des Sittlichen aus dem Bereich der
Realitäten festgestellt wird. Anthroposophie zeigt, wie durch den
Menschen das Naturgesetz durchbrochen wird, zeigt, wie durch das
Sittliche die Materialität vernichtet wird, um dann neu wieder aufzu-
bauen als Materie, aber nun als solche die Träger einer sittlichen
Weltordnung werden kann. Das, was in unserer Haut steckt, das
hängt zusammen mit den absterbenden Kräften der Materie; aber das,
was die Welt wieder aufbaut, das haben die Naturwissenschaften ver-
gessen.

Wir müssen zu der Frage fortschreiten, wo Stoff aufgebaut werden


kann, um zu neuen sittlichen Welten zu kommen. Wir haben zwar in
uns jeden Augenblick den Tod, aber wir haben auch in uns die Auf-
erstehung. Dahin müssen wir blicken; das ist die Perspektive, die wir
aus anthroposophischer Weltanschauung vor die Menschenseelen hin-
stellen müssen, weil die Naturwissenschaften schon allzulange und
allzu einseitig den Blick auf die Sterbekräfte hin geworfen haben.
Und es ist wichtig, den Mut zu entwickeln, um ins Auge zu fassen
das, was getan werden muß, um neue Welten aufzubauen.

Ich setzte voraus, daß diese Andeutungen mancherlei Anregungen


geben und zu Meditationen führen können, um klarer zu erkennen,
was viel empfunden und beredet wird, und was stark gewollt werden
soll.

SECHSTER VORTRAG


Dornach, 11. Februar 1922

Heute möchte ich zu Ihnen über ein Thema sprechen, das vielleicht


wiederum einige Gesichtspunkte abgeben kann für die Beurteilung
des gegenwärtigen Geisteslebens im Zusammenhange mit dem, was in
der Menschheitsentwickelung vorangegangen ist. In der Tat ist das
Geistesleben der Menschheit, wie ich oftmals auseinandergesetzt habe,

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